Die relative Bewegung der Erde und des Äthers

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Textdaten
Autor: Hendrik Antoon Lorentz
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Titel: Die relative Bewegung der Erde und des Äthers
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aus: Abhandlungen über theoretische Physik
Herausgeber: {{{HERAUSGEBER}}}
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1892
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: B. G. Teubner
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel: De relatieve beweging van de aarde en den aether
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Originalherkunft: Zittingsverslag Akad. v. Wet., Amsterdam, 1892
Quelle: Internet Archive, Commons
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XVII.
Die relative Bewegung der Erde und des Äthers.
(Amsterdam, Zittingsverlag Akad. v. Wet., 1 [1892], p. 74.)


Zur Erklärung der Aberration des Lichtes nahm Fresnel an, daß der Äther der jährlichen Bewegung der Erde nicht folgt, was natürlich eine vollkommene Durchdringlichkeit des Planeten für den Äther[WS 1] voraussetzt. Später hat Stokes eine auf der entgegengesetzten Annahme beruhende Theorie zu entwickeln versucht; er stellt sich vor, daß der Äther von der Erde mitgeführt wird und also in jedem Punkt der Erdoberfläche dieselbe Geschwindigkeit wie diese selbst hat.

Diese Theorien habe ich vor einigen Jahren ausführlich besprochen.[1] Es zeigte sich dabei, daß noch andere Erklärungsweisen möglich sind, die zwischen den genannten gleichsam die Mitte halten, jedoch, da sie nicht so einfach wie diese sind, weniger Beachtung verdienen. Von den beiden äußersten Auffassungen glaubte ich die von Stokes verwerfen zu müssen, weil sie die Existenz eines Geschwindigkeitspotentials für die Bewegung des Äthers verlangt, was sich mit der Gleichheit der Geschwindigkeiten der Erde und des ihr zunächst liegenden Äthers nicht vereinigen läßt.

Dagegen war es möglich, durch die Fresnel’sche Theorie fast alle betrachteten Erscheinungen zu erklären; nur mußte zu diesem Zweck für durchsichtige ponderable Körper der „Mitführungskoeffizient“ angenommen werden, der von Fresnel angegeben wurde, und dessen Wert ich vor kurzem aus der elektromagnetischen Lichttheorie abgeleitet habe.[2]

Eine große Schwierigkeit bot nun aber ein Interferenzversuch, den Michelson ausgeführt hat[3], und durch den er hoffte zu einer Entscheidung zwischen den beiden streitigen Theorien gelangen zu können.

Wenn der Äther in Ruhe bleibt, so muß die Bewegung der Erde einen Einfluß auf die Zeit haben, welche das Licht braucht, um zwischen zwei fest mit ihr verbundenen Punkten hin und zurück zu gehen. Ist die Entfernung der Punkte, die Geschwindigkeit des Lichtes, und die der Erde, so ist die betreffende Zeit, wenn die Verbindungslinie der Punkte der Bewegungsrichtung der Erde parallel läuft,

(1)

und wenn sie senkrecht auf ihr steht,

(2)

so daß die Werte um

(3)

voneinander verschieden sind.

Michelson benutzte einen Apparat mit zwei gleichlangen, aufeinander senkrecht stehenden horizontalen Armen, die an ihren Enden je einen senkrecht auf die Richtung des Armes gestellten Spiegel trugen. Eine Interferenzerscheinung kam in der Weise zustande, daß vom Kreuzpunkte ab ein Strahl längs des einen Armes und ein zweiter längs des anderen Armes hin- und herlief. Der ganze Apparat, einschließlich der Lichtquelle und des Beobachtungsfernrohrs, konnte um eine vertikale Achse gedreht werden, und die Beobachtungszeit wurde so gewählt, daß bei dieser Bewegung Lagen erreicht werden konnten, in denen entweder der eine oder der andere Arm einen ziemlich kleinen Winkel mit der Bewegungsrichtung der Erde bildete. Zur Vereinfachung wollen wir annehmen, daß die Arme der Erdbewegung genau parallel gerichtet werden können. Dann muß, wenn Fresnel’s Theorie richtig ist, infolge der Erdbewegung das in ihrer Richtung hin- und hergehende Lichtbündel in bezug auf das andere Bündel die durch (3) bestimmte Verzögerung erleiden. Bei einer Drehung über einen rechten Winkel müssen also alle Phasendifferenzen sich um einen Betrag ändern, der, in Zeiteinheiten ausgedrückt, durch das Doppelte der Größe (3) angegeben wird. In Wirklichkeit ließ sich aber eine Verschiebung der Interferenzstreifen nicht nachweisen.

Gegen diesen Versuch konnte ich einwenden, daß die Länge der Arme etwas zu klein war, um eine beobachtbare Verschiebung der Streifen zu erhalten. Michelson hat aber, in Gemeinschaft mit Morley, das Experiment in größerem Maßstabe wiederholt.[4] Bei den neuen Versuchen liefen die Lichtstrahlen in zueinander senkrechten Richtungen mehrere Male hin und her, indem sie jedesmal wieder von Spiegeln reflektiert wurden; die letzteren, sowie alle sonstigen Teile des Apparats waren auf eine auf Quecksilber schwimmende und also leicht in horizontaler Richtung drehbare Steinplatte gestellt. Auch jetzt zeigte sich, keine Spur der durch die Fresnel’sche Theorie verlangten Verschiebung der Interferenzstreifen.

Ich habe mir viel Mühe um die Erklärung dieses Versuchs gegeben und habe schließlich nur einen Ausweg gefunden. Derselbe besteht in der Hypothese, daß die Verbindungslinie zweier Punkte eines festen Körpers nicht die gleiche Länge behält, wenn sie einmal der Bewegungsrichtung der Erde parallel läuft, und dann senkrecht darauf gestellt wird. Wenn z. B. die Entfernung im letzteren Fall und im ersteren beträgt, so muß man den ersten der Ausdrücke (1) und (2) mit multiplizieren. Vernachlässigt man so erhält man dadurch

Dies wird dem Ausdruck (2) gleich, und das negative Resultat von Michelson ist somit erklärt, wenn

ist.[5]

Eine solche Änderung der Länge der Arme bei Michelson’s erstem Versuch, und der Dimensionen der Steinplatte beim zweiten, ist nun wirklich, wie mir scheint, nicht undenkbar. In der Tat, wodurch werden die Größe und die Gestalt eines festen Körpers bestimmt? Offenbar durch die Intensität der molekularen Kräfte; jede Ursache, welche diese modifiziert, muß auch die Form und die Dimensionen des Körpers ändern. Nun dürfen wir gegenwärtig annehmen, daß elektrische und magnetische Kräfte durch Vermittlung des Äthers wirken, und es ist nicht unnatürlich, dasselbe von den molekularen Kräften vorauszusetzen. Tut man dies, so kann es einen Unterschied machen, ob die Verbindungslinie zweier materieller Teilchen, die sich zusammen durch den ruhenden Äther verschieben, parallel oder senkrecht zur Bewegung gerichtet ist. Man sieht leicht, daß ein Einfluß von der Ordnung nicht zu erwarten ist, aber ein Einfluß von der Ordnung ist nicht ausgeschlossen, und das ist gerade, was wir brauchen.

Da wir von dem Wesen der molekularen Kräfte nichts wissen, so ist es unmöglich, die Hypothese näher zu prüfen. Wir können nur — selbstverständlich indem wir gewisse mehr oder weniger plausible Hypothesen einführen — den Einfluß einer Translation der ponderabelen Materie auf elektrische und magnetische Kräfte berechnen. Es ist nun bemerkenswert, daß das Resultat, welches man dabei für die elektrischen Kräfte erhält, wenn es auf die molekularen Wirkungen übertragen wird, gerade den oben für angegebenen Wert liefert.

Es sei ein System materieller Punkte, die gewisse elektrische Ladungen tragen und relativ zum Äther in Ruhe sind, das System derselben Punkte, wenn sie sich in der Richtung der -Achse mit der gemeinschaftlichen Geschwindigkeit durch den Äther verschieben. Aus den von mir entwickelten Gleichungen[6] kann man ableiten, mit welchen Kräften die Teilchen in dem System aufeinander wirken. Am einfachsten läßt sich das Resultat ausdrücken, wenn man noch ein drittes System einführt, das ebenso wie in Ruhe ist, aber sich von diesem letzteren System durch die gegenseitige Lage der Punkte unterscheidet. Das System soll nämlich aus entstehen durch eine einseitige Ausdehnung, bei der alle Dimensionen in der Richtung der -Achse im Verhältnis vergrößert werden, die auf der -Achse senkrecht stehenden Dimensionen aber ungeändert bleiben.

Für die Kräfte im System gilt nun der Satz, daß die der -Achse parallelen Komponenten dieselben sind wie in , während die auf dieser Achse senkrecht stehenden aus den entsprechenden Komponenten in durch Multiplikation mit dem Faktor erhalten werden.

Wir wollen dies auf die Molekularkräfte übertragen und uns einen festen Körper als ein System materieller Punkte vorstellen, die sich unter dem Einfluß ihrer gegenseitigen Anziehungen und Abstoßungen im Gleichgewicht befinden. Es sei das System ein solcher Körper, der sich durch den Äther hin bewegt. Während er das tut, müssen die auf jeden seiner materiellen Punkte wirkenden Kräfte sich einander aufheben. Aus dem Gesagten folgt, daß, wenn dies in zutrifft, es in dem System nicht der Fall zu sein braucht, wohl aber im System . Zwar werden, wenn man von zu übergeht, alle senkrecht zur -Achse stehenden Kraftkomponenten geändert, aber das Gleichgewicht wird hierdurch nicht gestört, da sie alle in demselben Verhältnis vergrößert werden. In dieser Weise zeigt es sich, daß, wenn der Gleichgewichtszustand des Körpers während einer Verschiebung durch den Äther ist, der Gleichgewichtszustand des ruhenden Körpers sein muß. Beachtet man das über die Dimensionen von und Gesagte, so kommt man genau zu der Dimensionenänderung, die wir zur Erklärung des Michelson’schen Versuchs angenommen haben.

Natürlich ist diesem Resultat kein großes Gewicht beizulegen; das für die elektrischen Kräfte Gefundene auf die Molekularwirkungen zu übertragen, mag wohl manchem zu gewagt erscheinen. Auch ist zu bemerken, daß, sogar wenn man kein Bedenken dagegen hätte, unentschieden bliebe, ob die Bewegung der Erde die Dimensionen in der einen Richtung verkürzt, was wir oben angenommen haben, oder die senkrecht darauf stehenden verlängert, was wir ebensogut hätten annehmen können.

Wie dem auch sei, man muß, wie mir scheint, die Möglichkeit von Änderungen der Molekularkräfte und der Dimensionen zu einem Betrag, der von der Größenordnung ist, zugeben. Der Michelson’sche Versuch verliert damit seine Beweiskraft für die Frage, die er entscheiden sollte. Wenn man die Fresnel’sche Theorie annimmt, so liegt die Bedeutung des Versuchs vielmehr darin, daß er uns über die Dimensionenänderungen Aufschluß gibt.

Da ist, so wird ein Zweihundertmilliontel. Eine Verkürzung des Durchmessers der Erde mit diesem Bruchteil betrüge 6 cm. Daß an eine Vergleichung von zwei Meterstäben mit einer Genauigkeit von einem Zweihundertmilliontel ihrer Länge nicht zu denken ist, braucht kaum gesagt zu werden. Übrigens, auch wenn sie möglich wäre, so würde man doch an zwei nebeneinander gelegten Stäben nichts von den besprochenen Änderungen bemerken können, da diese bei beiden in gleichem Maße bestehen. Um die Erscheinung zu konstatieren, müßte man die Länge zweier zueinander senkrecht gestellter Stäbe vergleichen, und wollte man dies mit Hilfe einer Interferenzerscheinung tun, bei welcher der eine Strahl an dem ersten Stab und der andere an dem zweiten entlang hin und hergeht, so käme man eben auf den Versuch von Michelson zurück. Die oben vorausgesetzte Längenänderung würde sich auch jetzt der Beobachtung entziehen, weil ihr Einfluß von dem der durch (3) bestimmten Phasenänderungen kompensiert würde.


  1. Siehe Nr. XIV dieser Sammlung.
  2. Man wird diese Ableitung in einer späteren Abhandlung finden.
  3. Siehe Nr. XIV dieser Sammlung, §§ 25, 26.
  4. A. A. Michelson u. E. W. Morley, Amer. Journ. of Science (3) 34 (1887), p. 333.
  5. Dieselbe Erklärung hat auch Fitz Gerald gegeben; siehe O. Lodge, Aberrationproblems, London Trans. A 184 (1893), p. 749, 750.
  6. Man wird diese in einer späteren Abhandlung finden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ather